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Von Carola Pinder und Clotilde Depenheuer



Die Harfe des Orpheus

Wie man weiß, sind Harfe und Flöte die ältesten Musikinstrumente der Menschheit. Will man sich allerdings zum Singen selbst begleiten, ist dies auf der Flöte natürlich nicht möglich, und so wurde seit alters her, so nimmt man an, der eigene Gesang mit der Harfe unterlegt. Man kennt David, der sich wahrscheinlich zu seinen Psalmen begleitet hat, man weiß von fahrenden Sängern im alten Griechenland und von irischen Barden, man leidet mit der Sagengestalt Orpheus und klagt mit der Harfenjule, um nur wenige Beispiele zu nennen. Von einigen keltischen Barden und deutschen Minnesängern sind sogar Melodien überliefert, zu denen auf der Harfe improvisiert wurde. Diese Kunst des Begleitens ist wohl besonders in Irland hoch entwickelt gewesen.

Aber nicht nur die eigene Stimme, auch Sänger, die selbst kein Instrument spielten, schätzten die Harfe, denn ihr Ton trägt und wird unmittelbar, so wie der der Stimme erzeugt.

In der Renaissance und Barockmusik (teilweise mit Generalbass-Bezifferung - sehr schön: die deutschen Arien von Händel) war ja sowieso meistens nicht festgelegt, welches Instrument den Part übernehmen sollte, und da die Harfe schon damals in der Hausmusik sehr beliebt war, ist anzunehmen, dass sie hier gerne und häufig eingesetzt wurde bis hin zu den Liedern des frühdeutschen Liederkreises im frühen 19. Jahrhundert.

Da jedoch die Spielmöglichkeiten unseres Instrumentes den harmonischen Anforderungen der kompositorischen Entwicklung noch nicht ganz hinterherkamen, wurde die Harfe nicht nur in der Solo- und Orchesterliteratur, sondern auch liedbegleitend im Zeitalter der Klassik recht selten eingesetzt (eine der wenigen Ausnahmen stellt die Romanze aus der Bühnenmusik zu "Leonore Prohaska" von Ludwig van Beethoven dar). Die Klavierinstrumente haben ja vom Spinett über das Cembalo zum Hammerklavier und später Flügel eine viel größere Entwicklung zu dieser Zeit erfahren als die Harfe. Aber selbst wenn man heute eine moderne Konzertharfe einsetzt, ist anzunehmen, dass man den Klangvorstellungen vieler Komponisten viel eher Rechnung tragen kann als mit dem Klavier. 

Aber es gibt doch viele Lieder aus dieser Zeit mit Original-Harfenbegleitung. Geschrieben haben diese z.B. J.G. Burckhoffer (18. Jhd.), J.B. Krumpholtz (1745-1795), N. Isonard (1775-1818) und J. Fr. Reichardt (1752-1814) der in der Hauptsache für seine harfespielende Tochter komponierte. 

Nach der Entwicklung der Doppelpedalharfe wurde diese natürlich in zunehmendem Maße von den Komponisten eingesetzt, nicht nur in der Solo- und Orchesterliteratur, sondern auch in der Kammermusik, wozu ja auch die vokale Besetzung zählt, sei es mit Gesang und Harfe alleine oder mit zusätzlichen anderen Instrumenten. Hier entstanden Lieder aus der Feder von Conradin Kreutzer (1780-1849), Ludwig Spohr (1784-1859), Robert Schumann (1810-1856) (am bekanntesten die ‚Byron-Lieder'), Franz Liszt (1811-1886), Franz Poenitz (1850-1913), Ruggiero Leoncavallo (1857-1919), Hermann Simon, Marcel Tournier (1879-1951), Othmar Schoeck (1886-1957). 

Hier wurde die Harfe sehr traditionell mit Arpeggien und gebrochenen Drei- oder Vierklängen eingesetzt, aber in der weiteren Entwicklung bemühten sich die Komponisten, die harfenspeziellen Spieltechniken anzuwenden. 

Zu dieser und der darauf folgenden Zeit entstanden jedoch auch sehr viele Lieder, bei deren ausgeschriebener Begleitung die Komponisten an die Harfe gedacht haben mögen, aber für Klavier geschrieben haben: Wolfgang Amadeus Mozart (1756-1791), Carl Friedrich Zelter (1758-1832), Ludwig van Beethoven (1770-1827), Franz Schubert (1797-1828), Felix Mendelssohn-Bartholdy (1809-1847), Robert Schumann (Spielanleitung "wie eine Harfe"), und natürlich Claude Debussy (1862-1918) und Maurice Ravel (1875-1937). 

In Romantik, Impressionismus und Moderne sind folgende Komponisten zu finden, die speziell die Besetzung Gesang und Harfe, teilweise mit anderen Instrumenten, gefordert haben: Henriette Renié (1875-1956), Manuel de Falla (1876-1946), André Caplet (1878-1925), Max Büttner (1879-1948), Igor Strawinski (1882-1971), Hans Gal (1890), Darius Milhaud (1892-1974), Mario Castelnuovo-Tedesco (1895-1968), André Jolivet (1905-1974), Paul Burkhard (1911-1977), Sergiu Natra (1924), Philip Cannon (1929), Oskar Gottlieb Blarr, Thomas Pehlken, Bernard Andrès (1941). Leider sind von einigen Liedern die Namen der Komponisten nicht überliefert. 


Sehr viele harfespielende Komponisten (oder komponierende Harfenisten) haben Volksliederbegleitungen für ihr Instrument geschrieben, diese reichen von traditionellen Begleitschemata (z.B. Calthorpe, Woods …) bis hin zu moderner Harmonisierung und eigenständiger Melodieführung wie bei Britten und Watkins. Nicht zu vergessen sei der Einsatz der Harfe in Chorwerken (nicht im Orchester, sondern solistisch oder mit Orgel und/oder nur sehr wenigen anderen Instrumenten), z.B. bei Benjamin Britten (1913-1976), Johann-Kaspar Aiblinger (1779-1867), Petr Eben (1929), Johannes Brahms (1833-1897), César Franck (1822-1890), Robert Fuchs (1847-1927), Leos Janacek (1854-1928), Sigfried Karg-Ehlert (1877-1933), Zoltan Kodaly (1882-1967) und Hermann Rübben.